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Philomena Franz

Holocaust-Überlebende, erste Sinti-Schrifstellerin Deutschlands, Toleranz- und Friedens-Botschafterin

„Wir Überlebenden sind gezeichnet. Aber eines hat mich mein Leben gelehrt:
Wenn wir hassen, verlieren wir. Wenn wir lieben, werden wir reich.”


Name: Philomena Franz

Lebensdaten: 21. Juli 1922

Ratsbeschluss über die Verleihung des Ehrenbürgerrechtes: 1. Juli 2021

Verleihung: Am 13. August 2021 im Kunstmuseum Villa Zanders

Leben

Frau Philomena Franz wurde 1922 in einer renommierten Sinti-Musikerfamilie, die schon seit Jahrhunderten in Deutschland lebt, geboren. Sie wuchs in Oberschwaben, dann in Stuttgart mit neun Geschwistern auf. Ihr Großvater war ein berühmter Cellist. Frau Philomena Franz stand schon als kleines Kind im In- und Ausland auf der Bühne, sang und tanzte mit großem Erfolg in der Kapelle ihres Großvaters. Die Familie hatte Auftritte u.a. in der Liederhalle Stuttgart, im Lido in Paris und im Berliner Wintergarten. 1936 begann die rassische Verfolgung der Sinti und Roma. Frau Philomena Franz musste 1938 die Mädchenoberschule in Stuttgart verlassen. Die Familie bekam Berufsverbot. Frau Philomena Franz wird zur Zwangsarbeit in einer Rüstungsfirma verpflichtet, bis zu ihrer Verhaftung 1943. Dann wurde sie nach Auschwitz deportiert.

Mehrere Stationen in verschiedenen Arbeitslagern folgten. Sie überlebte die Konzentrationslager und Arbeitslager Auschwitz-Birkenau, Ravensbrück, Schlieben, Oranienburg und wieder Auschwitz. Dann ging es für kurze Zeit nach Wittenberg. Dort gelingt ihr kurz vor Kriegsende die Flucht. Die Überlebenden des Lagers in Auschwitz wurden am 27. Januar 1945 von der Roten Armee befreit.

Frau Philomena Franz hat Hass, Demütigungen, Qualen und Ängste erlebt. Auch Fluchterfahrung hat sie gesammelt. Von ihrer zwölfköpfigen Familie überlebten den Holocaust nur sie selbst und einer ihrer Brüder.
Nach dem Krieg wurde sie die erste Sinti-Schriftstellerin Deutschlands. Sie beschrieb zum einen speziell das Leben der Sinti. Sie sieht sich als „Zigeunerin“ einer Bevölkerungsgruppe angehörig, die grundlegend anders ist als die Umgebungsbevölkerung: „Wir denken anders. Wir fühlen anders“.
Sie schrieb aber auch ihre Erlebnisse an den Holocaust nieder: das Leben im Lager, die physischen und psychischen Qualen. Bekannt wurde vor allem ihre Autobiografie „Zwischen Liebe und Hass, Ein Zigeunerleben“.

Mit ihren Werken hat sich Frau Philomena Franz sehr um die Erinnerungskultur - speziell auf das Schicksal der Sinti und Roma im Nationalsozialismus bezogen - verdient gemacht. Dies ist auf dem Hintergrund bemerkenswert, weil das nationalsozialistische Verbrechen an Sintize, Sinti, Romnia und Roma noch lange nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges verleugnet wurde. Erst 1982 erkannte Bundeskanzler Helmut Schmidt den Völkermord an den Sinti und Roma offiziell an. Es war auch danach noch ein weiter Weg, über die Verfolgung und die dahinter liegenden Schicksale zu sprechen und darüber zu informieren. Zudem: Die Aufarbeitung der Geschichte mit dem Ziel der angemessenen pädagogischen Vermittlung, dauerte noch viele Jahre.

In ihrer Rolle als Zeitzeugin ist Frau Philomena Franz jahrzehntelang in Bildungseinrichtungen und Medien aktiv gewesen. Vor allem in Schulen, Volkshochschulen, Universitäten und Kirchen, aber auch in Talkshows und Radiosendungen. Ihr Erzählstil ist in der Vermittlung des Unaussprechlichen stets wortgewaltig und direkt, so dass ihre Schilderungen gerade bei jungen Menschen das Interesse an der Vergangenheit wecken und nachhaltig fördern.
Ihre Botschaft: „Wir Überlebenden sind gezeichnet. Aber eines hat mich mein Leben gelehrt: Wenn wir hassen, verlieren wir. Wenn wir lieben, werden wir reich.” Die Bereitschaft zur Versöhnung ist zentral. Immer wieder ermutigt Frau Philomena Franz ihre Leser*innen und Zuhörer*innen, Fremdes kennen und verstehen zu lernen. Sie kämpft für Verständigung zwischen Sinti, Roma, Juden und Deutschen und vermittelt in vielfältiger Weise, dass Toleranz aus dem Herzen wachsen muss. Nie hat sie die Hoffnung an das Gute im Menschen verloren -trotz ihrer unvorstellbaren Erlebnisse -. Als gläubige Christin ist sie überzeugt, dass Gott sie habe überleben lassen und sieht darin einen Auftrag, ihre Erfahrungen als Opfer der NS-Verfolgung weiterzuvermitteln.
In Bergisch Gladbacher Schulen trat sie mehrfach (doch nicht häufig, ca. einmal im Jahr) in Erscheinung. 2004 hielt sie einen sehr beachteten Vortrag im Rahmen der VHS-Ausstellung „Unerschrocken und entschlossen – Bergische Frauen zeigen Zivilcourage im Nationalsozialismus“. Zu ihrem 90. Geburtstag in 2012 wurde sie von dem ehemaligen Bürgermeister zu einem Geburtstagsempfang im Rathaus Bergisch Gladbach Stadtmitte eingeladen und hat in diesem Rahmen wieder einmal sehr eindrucksvoll ihre Friedensbotschaft vertreten.
Für ihre unermüdliche Aufklärungs- und Versöhnungsarbeit erhielt sie zahlreiche Auszeichnungen.

1995 wurde ihr das Bundesverdienstkreuz am Bande verliehen.

2001 erhielt sie den „Prix Femmes d’Europe“/“Women of Europe Award“/“Preis Frauen Europas“. Mit der Auszeichnung ehrt die Europäische Bewegung Deutschland (EBD) seit 1991 jedes Jahr eine Frau, die sich durch ihr ehrenamtliches gesellschaftliches Engagement in besonderer Weise für die Verständigung, das Zusammenwachsen und die Festigung eines vereinten Europas einsetzt.

2013 wurde ihr der Verdienstorden des Landes NRW verliehen. Dabei wurde ihre „vorbildliche Haltung und ihre „unvergleichliche menschliche Größe“ hervorgehoben.

2015 stellte sie sich als eine von 19 Überlebenden des KZ Ausschwitz zur Verfügung, deren Beiträge in die Titelreportage „Die letzten Zeugen“ des Magazins Der Spiegel aufgenommen wurden.

Der (o.g.) Befreiungstag 27. Januar - seit 1996 Gedenktag an die Opfer des Nationalsozialismus - wurde in 2021 vom Rheinisch-Bergischen Kreis auf besondere Weise gestaltet: Das Kulturamt hat ein Filmprojekt mit Frau Philomena Franz vorbereitet, das Zeitzeugen-Interview „Zwischen Liebe und Hass“. Damit wurde vor kurzem wiederum ein wichtiges Dokument der Erinnerung geschaffen, um das Anliegen von Frau Philomena Franz in die jüngeren Generationen zu bringen. Das Filmprojekt wurde von zwei 9-er Schulklassen aus dem Rheinisch-Bergischen Kreis, der Nelson-Mandela-Gesamtschule in Bergisch Gladbach und der LVR-Schule am Königsforst in Rösrath, mit begleitet. Der Film hat noch einmal das beachtliche Lebenswerk von Frau Philomena Franz eindrücklich in Erinnerung gerufen.
Auch mit ihren nunmehr 99 Jahren kämpft Frau Philomena Franz unermüdlich für Versöhnung und interkulturelles Miteinander. Sie zählt zu den herausragenden Persönlichkeiten unserer Zeit und hat eine Strahlkraft weit über Bergisch Gladbach hinaus. Bergisch Gladbach kann dankbar und stolz sein, dass eine solche Persönlichkeit Bürgerin der Stadt ist. Sie trägt zweifellos zum Ansehen der Stadt Bergisch Gladbach bei.
Zu Recht kann man bei dem Engagement von Frau Philomena Franz von einem beeindruckenden Lebenswerk sprechen.